Bei vielen meiner Reisen in die Wildnis und in einzigartige Ökosysteme stelle ich mir die Frage, wie lange es sie noch geben wird. In der Epoche von Klimawandel, Umweltverschmutzung, Überbevölkerung und Raubbau an der Natur bin ich mir immer wieder unsicher, ob die Region, in der ich mich gerade aufhalte und wo ich einzigartige Erlebnisse habe, in 5, in 10 oder in 20 Jahren noch so bestehen wird, wie ich sie sehe.

Wenig überraschend gilt dies insbesondere für die polaren Ökosysteme, die -neben den Korallenriffen- zu den am meisten gefährdeten des Planeten zählen.

Eisbären haben mich immer schon fasziniert, aus verschiedenen Gründen. Meine ersten Begegnungen waren in Spitzbergen, und sie waren eindrucksvoll. Auch an einigen anderen Orten der Welt sind die Könige der Arktis relativ leicht zu sehen, man denke etwa an die Hudson Bay in Kanada. Aber das Fotografieren von Jungtieren, insbesondere von Babies, ist eine andere Kategorie.

Trächtige Eisbärenweibchen verbringen den härtesten Teil des arktischen Winters in Schneehöhlen, die sie in abgelegene Schneewehen graben. Das tun sie im November, und in der Arktis herrscht zu dieser Zeit 24 Stunden am Tag Dunkelheit. Die Bärin bringt dort meist zwei Junge zur Welt und säugt sie 4 Monate lang. Während dieser ganzen Zeit gibt es für die Mutter nichts zu Fressen, sie zehrt allein von den Fettreserven, die sie im Herbst angelegt hat. Das bedeutet für die Bärin einen Gewichtsverlust von 200kg. Im März taucht die junge Familie aus der Höhle aus, und die Jungen lernen die eisige Welt kennen, in der sie ihr Leben verbringen werden. Einige Tage lang tollen die Jungen im Schnee herum, purzeln übereinander, erproben ihre Kräfte in putzigen Ringkämpfen und verkriechen sich unter dem Fell der Mutter, wenn sie müde sind. Die Bärin genießt es sichtlich, die Höhle verlassen zu können, sie streckt sich und wälzt sich im Schnee, rutscht Hänge hinunter und unternimmt kleine Spaziergänge mit ihrem Nachwuchs. Wenn die kleinen ihre Muskeln ein wenig trainiert und ihre Umgebung kennengelernt haben, beginnt die lange Wanderung in Richtung Meer.

Im März herrschen im Norden Kanadas Tageshöchsttemperaturen von minus 20 Grad Celsius – das beeindruckt die Bären wenig, ist aber für den Fotografen durchaus eine Herausforderung; vor allem unter dem Aspekt, dass dieser oft viele Stunden wartet, während die Bären in aller Ruhe ein Schläfchen abhalten, bevor sich wieder etwas Interessantes abspielt. Eisbären zu finden ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit, und nicht wenige Fotografen reisen ab, ohne sie überhaupt gesehen zu haben.

Die Übernachtung erfolgt im relativen Komfort einer Blockhütte mitten in der gefrorenen Tundra, die – wie jeder Innenraum in der Arktis – hoffnungslos überheizt ist und einige 6-Bett-Zimmer bietet, die etwa dem Standard einer Schutzhütte in den heimischen Alpen entspricht. Fließendes Wasser gibt es nicht, dafür aber Strom und recht gutes Essen. Von dort aus geht es dann mit Schneemobilen und ortskundigen Guides auf Eisbärensuche, und dort wärmt sich abends eine Handvoll Naturfotografen aus aller Welt auf und erzählt sich Geschichten von der Arktis und von anderswo – und natürlich flimmern die Bildschirme von Notebooks und Bilder werden kritisch kommentiert.

Es ist ein einzigartiges Privileg, teil dieser kleinen Gemeinschaft und Gast im faszinierenden Reich der Eisbären zu sein. Und es bleibt die Hoffnung, dass dieses Reich bestehen bleibt.