Sie bewegen sich lautlos und vor allem in der Dämmerung. Sie können sich unsichtbar machen. Wenn sie nicht gesehen werden wollen, dann sieht man sie auch nicht. Selbst wenn man ihnen schon fast auf die Pfoten steigt. Sie können mit ihrem Blick einen Menschen in ihren Bann schlagen, sie können mit der Eleganz ihrer Bewegungen jeden verzaubern. Sie können sich mit ihrer perfekten Tarnung in der Umgebung auflösen und auch den geübten Beobachter an seinem Verstand zweifeln lassen.

Pumas sind die Geister der Anden. Es gibt sie in ganz Amerika, von Alaska bis Feuerland, und obwohl sie an manchen Orten bis fast zur Ausrottung gejagt wurden, bilden sie nach wie vor die Spitze vieler Nahrungsketten in Amerika.

Auch im chilenischen Teil Patagoniens wurden sie intensiv gejagt, wurden sie -wie könnte es auch jemals irgendwo anders sein- von Ranchern und Gauchos als Nahrungskonkurrenten gesehen und gnadenlos verfolgt. Nach dieser blutigen Geschichte erscheint es fast als ein Wunder dass man sie dort heute beobachten und fotografieren kann – während sie im Großteil des restlichen Amerika zwar vorhanden sind, jedoch praktisch nie gesehen werden. Natürlich braucht man Geduld, Glück, Ausdauer und die Dienste einheimischer Fährtensucher und Tracker. Aber das ist ja für den erfahrenen Naturfotografen – vor allem für den, der sich mit Katzen beschäftigt – keiner besonderen Erwähnung wert.

Im Pandemiejahr 2020, wenige Wochen bevor die Welt den Begriff „Omikron“ kennen lernt, ist es mit beträchtlichem bürokratischen Aufwand verbunden, nach Chile einzureisen. Bis wenige Tage vor Reiseantritt weiß ich nicht, ob ich fliegen kann, und dann droht die Reise bei einem Zwischenstopp in Sao Paolo zu scheitern, wo die Kompetenz und die Fremdsprachenkenntnisse brasilianischer Beamten und LATAM-Angestellter (warum sollte auch an einem großen internationalen Flughafen jemand englisch sprechen?) zu endlosem Warten und einer zwangsweisen Umbuchung meines Weiterfluges führen. Ursache sind natürlich Covid-Regeln, die ich zwar auf Punkt und Beistrich eingehalten habe – aber erkläre das mal jemand auf portugiesisch. Mein Gepäck geht dabei auch verloren und wird wenig überraschend wochenlang nicht mehr gefunden. Jeder kleine Aspekt meiner Reise, eigentlich reine Routine, wird durch irgendwelche Bestimmungen verkompliziert, auch wenn ich wohl zu den ersten 3-fach Geimpften in Europa zähle.

Der Torres del Paine Park in Patagonien ist dafür praktisch menschenleer. Eine Handvoll Touristen, alles Chilenen, ist unterwegs, wo normalerweise richtig viel los ist. Die Treks durch den Park habe ich für mich alleine, an den Aussichtspunkten ist buchstäblich kein Mensch, einmal am Tag sehe ich ein anderes Tourfahrzeug, und während meines ganzen Aufenthaltes treffe ich keinen einzigen Ausländer, noch nicht einmal in der Lodge. Die einzige Ausnahme bildet ein Filmteam der BBC, das außerhalb des Parks ebenfalls hinter Pumas her ist, und diese Bekanntschaft erweist sich als wirklicher Glücksfall. Guides und Tracker suchen dringend Arbeit – sicher nicht lustig für die Betroffenen, aber für mich bedeutet es, dass ich mir die besten Leute aussuchen kann und deren volle Aufmerksamkeit habe.

In der traumhaften Landschaft des Torres del Paine, in der Grassavanne, an Seen und vor grandiosen Bergketten, unter weitem blauen Himmel tummeln sich viele kleine Herden von Guanakos, aber auch Stinktiere, Gürteltiere, Füchse, Hasen, Nandus und viele andere Vögel – und Pumas. Es ist ein beträchtlicher Aufwand, einen Puma zu finden, aber die Nähe zu der eleganten Katze belohnt jede Mühe.

Die Tiere haben sehr unterschiedliche Persönlichkeiten – einige sind sehr scheu und haben eine entsprechend hohe Fluchtdistanz, andere tolerieren meine Nähe und lassen mich stundenlang in wenigen Metern Entfernung sitzen, liegen und fotografieren. Und zwar, das muss man besonders unterstreichen – nicht etwa vom Land Cruiser aus, der etwa in Afrika das übliche mobile Fotoversteck darstellt – sondern nach einer Annäherung zu Fuß ohne Fahrzeug, ohne Zelt oder Versteck. Ich sitze einfach im Gras, neben mir liegt der Rucksack, in der Hand halte ich die Kamera. Und ein paar Meter weiter sitzt eine Pumamutter, frisst an ihrer Beute oder spielt mit ihren Jungen. Stundenlang tolerieren die Tiere meine Nähe, verhalten sich völlig natürlich und entspannt. Das ist eine Nähe und Intimität, die ich bei vielen vorangegangenen Katzenbegegnungen noch nie erlebt habe, und sie verstärkt ganz erheblich das Gefühl von Magie – in Gegenwart der Geister der Anden.

Die grandiose Landschaft Patagoniens bildet hierfür nicht nur die perfekte Bühne, sondern wäre auch für sich jedenfalls eine Reise wert. Tiefblauer Himmel mit sturmgepeitschten Wolken, himmelsstürmende Berge, die Grassavanne und viele kleinere und größere Seen – wunderschön am Tag, magisch am Abend. Patagonien ist ein Traum von wilder Natur, Freiheit und Abenteuer, ein Traum den ich nur ungern verlasse – selbst wenn ich Richtung Antarktis weiterreise.