Als Kind glaubte ich, Afrika sei eine einzige große Wüste. Ich hatte Bilder der Sahara gesehen und dachte, der ganze riesige Kontinent -in meiner kindlichen Phantasie der größte von allen- bestehe aus einem endlosen Meer von Sanddünen. Mein Vater, der als Biologe von einer Reise nach Afrika träumte -das war für uns Anfang der 80er Jahre unerschwinglich- erklärte mir anhand von Bildbänden, dass Afrika in Wirklichkeit vielfältig ist, dass es riesige Savannen ebenso wie gigantische Regenwälder und mächtige Flüsse besitzt. Die Savannen machten den meisten Eindruck auf mich, und der Gepard wurde zur Projektionsfläche kindlicher Vorstellungen.






Als junger Mann war ich viele Male in Afrika unterwegs -in Kenia und Tansania, in Sambia, Botswana, Namibia, Ruanda und Südafrika- und mit wenigen Ausnahmen waren es tatsächlich die Savannen, die Halbwüsten und die Grasländer, die ich bereiste. Sie boten massenhaft ikonische Großtiere, manche waren sogar recht leicht zu finden und zu fotografieren, und die ganze Szenerie reflektierte die Afrikaromantik aus meinen Träumen.

Der tropische Regenwald blieb hingegen für viele Jahre ein fast mystisches Fernziel – viel schwieriger zu bereisen, eine große fotografische Herausforderung und zwar ein Hotspot der Biodiversität, jedoch mit erheblichen Schwierigkeiten, die vielen Arten auch zu finden und zu Gesicht zu bekommen.







Irgendwann – es muss so um 2000 gewesen – las ich in National Geographic von einem amerikanischen Ökologen, der das Kongobecken über tausende Kilometer zu Fuß durchquert und wissenschaftlich untersucht hatte – quer durch dichtesten Urwald, über Flüsse und begleitet von einigen Ba´Aka Pygmäen. Der Ökologe hieß Mike Fay, das Projekt MegaTransect und der Artikel – und vor allem die Bilder von Michael Nichols beeindruckten mich sehr. Es sollte dennoch über 20 Jahre dauern, bis ich selbst eine Reise in diese Region übernehmen würde.










Die zentralafrikanischen Regenwälder des Kongobeckens – in der Demokratischen Republik Kongo, der Republik Zentralafrika, in der Republik Kongo, in Gabun, in Kamerun, Äquatorialguinea, mit Ausläufern bis nach Ruanda, Uganda und Tansania sind das zweitgrößte zusammenhängende Regenwaldgebiet der Erde. Sie sind Heimat von 10.000 Pflanzenarten, von 400 Säugetierarten und mehr als 1000 Vogelarten, von denen viele in dem Gebiet endemisch sind.












Einige der genannten Länder sind von politischer Stabilität weit entfernt, und eine unvorstellbare Korruption, bittere Armut -in einigen der ressourcenreichsten Staaten der Erde- und Bürgerkriege bis hin zum Völkermord sind die Zutaten für eine ständige Bedrohung nicht nur der Menschen, sondern auch des Lebensraumes und der Biodiversität. Es würde den Rahmen eines Fotoblogs bei weitem sprengen, dies weiter auszuführen – Interessierten sei die Lektüre von zahlreichen Büchern wie z.B. „Ach Afrika“ von Bartholomäus Grill empfohlen.












Es liegt in der Natur der Sache, dass die wirklich unberührten Regenwälder nicht ganz einfach zu bereisen sind. Wie so oft ist auch hier Abgelegenheit und Unzugänglichkeit der beste Naturschutz. Die Infrastruktur und der Komfort, den viele der großen Nationalparks im östlichen und südlichen Afrika heute bieten, fehlt hier fast völlig. Den zentralafrikanischen Regenwald zu bereisen heißt vielmehr, sich auf eine anstrengende und mühsame Anreise -mit all den Freuden mangelhafer Infrastruktur, fehlender Organisation, chaotischem Management und allgegenwärtiger Inkompetenz einzustellen; lange Fußmärsche im schwül-heißen Klima mit erheblichem Marschgepäck auf sich zu nehmen; ungenießbare und scheinbar täglich gleiche Kost zu ertragen; und in puncto Nachtruhe und Körperhygiene auf jeglichen Komfort zu verzichten. Selbst die Überquerung des Kongoflusses mit einer Fähre zwischen den Hauptstädten Kinshasa und Brazzaville kann in einen nervenzerfetzenden chaotisch-bürokratisch-korrupten Alptraum ausarten, die Zollkontrollen selbst auf internationalen Flughäfen bieten einen Vorgeschmack auf die ständigen Straßensperren, deren einziger Zweck in der Bereicherung lokaler Uniformierter besteht, und der Transport in abgelegenen Gegenden, etwa mit einem Boot auf dem Sangha Fluss, lässt einige Geduld ratsam erscheinen.






Das Kongobecken zu bereisen hat über weite Strecken nichts zu tun mit komfortablen Lodges, gepflegten Sundownern und romantischen Lagerfeuern. Es ist -zumindest in den Teilen, die von der Holzindustrie und den Wilderern verschont geblieben sind- eine wirkliche, unberührte Urlandschaft. Das trinationale Dzanga-Sangha Schutzgebiet im Grenzgebiet der zentralafrikanischen Republik, der Republik Kongo und Kameruns, der Noubale-Ndoki Park oder die großen Schutzgebiete in Gabun, das einen Großteil seiner Staatsfläche zu Schutzgebieten erklärt hat sind ikonische Beispiele für gelungenen Naturschutz. Ich bin kein Experte, aber ich würde annehmen, dass Touristen, die diese Regionen bereisen, den CO2- Ausstoß, der bei ihrer Anreise anfällt, mehr als kompensieren durch den Umstand, dass ihre bloße Anwesenheit zum Erhalt dieser einzigartigen Naturlandschaften beiträgt, dass Schutzgebiete sich dadurch mehr lohnen als Abholzung und Wilderei. Und schützenswert sind die Regenwälder Zentralafrikas ohne jede Frage. Gorillas, Schimpansen, Bonobos, Mandrills, Waldelefanten, Büffel, Bongoantilopen und Pinselohrschweine sind einige der ikonischen Säugetierarten und seien hier stellvertretend für viele andere und für unzählige Vögel, Reptilien, Amphibien, Fische und Wirbellose genannt.












Auch einige der letzten wirklich ursprünglich lebenden Menschen finden im zentralafrikanischen Regenwald ihre Heimat. Ich hatte das große Privileg, mit den Pygmäen vom Stamm der Ba´Aka zu singen, zu tanzen, auf Jagd zu gehen und von ihnen in einige der Geheimnisse ihres Lebensraumes, des geradezu undurchdringlichen Regenwaldes eingeweiht zu werden.















Die Ba´Aka, jedenfalls jene, die noch traditionell leben, sind Steinzeitmenschen. Sie kleiden sich mit Blättern und Rinde, sie bewegen sich barfuß leichtfüssig durch den dichtesten Dschungel, sie kennen unzählige Pflanzen, sie wissen, welche Wurzeln Wasser spenden welche Baumrinde medzinisch verwendet werden kann und welchen Pflanzenextrakt man braucht, um mit den Ahnen in Verbindung zu treten. Sie finden ihren Weg mit traumwandlerischer Sicherheit, sie leben von dem was der Wald ihnen gibt – ein Wald voller Leben, in dem doch jeder zivilisierte Mensch unweigerlich verhungern würde. Sie teilen ihren Lebensraum mit Elefanten und Gorillas, und wer sie besucht hat, der kann nicht anders als zu hoffen, dass ihr Welt weiter bestehen möge.















Nach einigen Wochen im zentralafrikanischen Regenwald ist man froh über eine Dusche, ein Bett und ein anständiges Essen. Aber man sieht Afrika – und einiges mehr – mit anderen Augen.

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