In den Bergen Norwegens ist ein Winter noch ein Winter. Klirrkalt, fest gefroren, tief verschneit. Moschusochsen fühlen sich unter diesen Bedingungen durchaus wohl. Ursprünglich in Grönland, Kanada, Alaska und Sibiren beheimatet, prähistorisch wohl auch im arktischen Europa, sind die riesigen Ziegen mit ihrem zotteligen Fell bestens an kaltes und unwirtliches Wetter angepasst, und auch mit den winterlichen arktischen Stürmen kommen sie bestens zurecht. Tatsächlich suchen Sie im Winter sogar bevorzugt die windumtosten Hochplateaus des Dovrefjells auf, weil dort der Schnee weggeweht wird und sie so leichter an Nahrung kommen. Ich bin verblüfft darüber, dass die karge Vegetation ausreicht um Herden der gewaltigen Tiere zu ernähren und durch den Winter zu bringen. Mit ihrem Aussehen wecken Moschusochsen Assoziationen mit der Eiszeit und den steinzeitlichen Jägern.








Für heutige Menschen hingegen ist das Dovrefjell im Winter hingegen eine Landschaft, in der man nur mit guter Expeditionsausrüstung eine Zeit lang zurechtkommt, doch man wird immer ein fremder Besucher sein. Den pfadlosen Weg ins Gebirge legen wir mit Hundeschlitten zurück -das allein ist schon ein kleines Abenteuer-, und als wir in einem zumindest halbwegs geschützt aussehenden Tal ankommen, das sich als Campingplatz eignen könnte, ist dort nichts außer Fels, Eis, Schnee und einbrechender Dunkelheit.






Wir planieren mit den mitgebrachten Spaten eine Fläche für die winzigen Zelte, graben einen kleinen Graben rundherum, heben einen Schacht im Eingangsbereich aus. Als alles aufgebaut ist, ist es schwarze Nacht und so richtig kalt. Das Abendessen -und sämtliche Mahlzeiten der nächsten Tage- nennt sich Adventure Food: Säckchen mit gefriergetrocknetem Pulver, dem man durch Zusatz einer definierten Menge heißen Wassers eine breiige Konsistenz verleihen kann. Wohl aus Gründen des Marketings hat der Hersteller euphemistische Bilder und Namen wie „Spaghetti Bolognese“, „Chili con Carne“, „Asiatische Reispfanne“ und andere aufgedruckt. In Wirklichkeit schmecken alle diese Gerichte gleich, und zwar gleich scheußlich. Der Begriff „Nährschleim“ setzt sich rasch durch.






Wir schlafen zu dritt im Zelt, jeder in einem dicken, zweilagigen Expeditionsschlafsack. Am nächsten Morgen ist die Innenhaut des Zeltes lückenlos von Eisplatten überzogen – die gefrorene Feuchtigkeit unserer Atemluft. An den nächsten Tagen sind wir mit Schneeschuhen in den Bergen unterwegs, und mindestens so herausfordernd wie die Suche nach den Moschusochsen ist der ständige Wechsel der Kleidungsschichten. Wir wollen bei Anstrengung nicht schwitzen, denn das würde sich beim stundenlangen bitterkalten Aufenthalt auf den stürmischen Hochebenen in der Nähe der Moschusochsen bitter rächen.






Aber die Anstrengungen werden belohnt. Die Nähe der Tiere, darunter auch halbwüchsige Kälber, die grandiose Winterlandschaft und das magische Licht sind traumhaft. Und diese faszinierenden Momente trösten auch darüber hinweg, dass wir Zivilisationsmenschen einen Tag früher als geplant aus den Bergen flüchten müssen – weil sich das Wetter nunmehr völlig in Richtung Weltuntergang bewegt.





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